Dieser Artikel erschien zuerst bei Naturschutz und Landschaftsplanung am 08.07.2024 unter dieser URL und wird mit freundlicher Genehmigung der Redaktion hier erneut publiziert. | Autorin: Julia Schenkenberger
Einst war die Wiesenbewässerung vielerorts ein wichtiger Teil der Wiesenbewirtschaftung: Durch das Wässern konnte der Ertrag gesteigert werden. Heute ist die Tradition oft in Vergessenheit geraten – obwohl die alten Techniken heute an Bedeutung gewinnen könnten. Und was machen eigentlich Regionen ohne Wässerwiesenstrukturen? Thomas Köhler und Peter Keller haben uns einen Einblick in das Projekt Klimaangepasstes Wassermanagement (KliWa) gegeben.
Hochsommer, irgendwo in Deutschland: Es ist trocken. Knochentrocken. Geregnet hat es schon lange nicht mehr. Die Traktoren ziehen bei der Ernte immense Staubwolken hinter sich her und die Wiesen sind schon lange eher braun als grün. Der fehlende Regen macht allen zu schaffen.
Einigen wenigen Wiesen jedoch geht es besser: An der Queich gibt es noch Grün! Was ist hier passiert? Ein Blick zurück ins Frühjahr verrät, was hier anders ist. Hier in der Südpfalz werden einige Wiesen im Frühjahr gewässert. Vor knapp 20 Jahren entwickelte sich hier ein Pilotprojekt, um die traditionelle Bewirtschaftungsweise in den Niederungen der Queich zu reaktivieren. Biologe Peter Keller ist Teil der Arbeitsgruppe. „Die Wiesen waren im Mittelalter lebenswichtig für die Bevölkerung“, erklärt er. „Sie boten die Grundlage der Ernährung. Die Wiesenwässerung sicherte einen gleichmäßigen Ertrag auf den Flächen. Man sagte damals ‚Die Wiese ist die Mutter des Ackers‘, d.h. das Grünfutter wurde an das Vieh verfüttert und mit dem Mist hat man den Acker gedüngt. So konnte man ausreichend Lebensmittel produzieren.“
Über Be- und Entwässerungsgräben und zahlreiche Schieber steuert der Wassermeister (Wiesenwässerer) die Bewässerung: Das Wasser wird an Stauwehren dem Fluss entnommen und über die Bewässerungsgräben auf die Wiesen geleitet. Die Entwässerungsgräben wiederum leiten überschüssiges Wasser wieder zurück in die Queich. An der Technik hat sich seit dem Mittelalter nicht viel geändert.
Wer wann wässern durfte, war damals streng geregelt: Das Wasserrecht lag bei den Mühlen und den Landwirten; eine Wässerordnung regelte die Tage, wer wann und wo Wasser nutzen durfte. Die Müller achteten stets genau darauf, wer wann Wasser entnahm – schließlich konnten sie nicht mahlen, wenn das Mühlrad ohne Antrieb war. Wasserrechte gibt es heute noch. Die Rechtslage ist sogar noch herausfordernder geworden, denn es sind mehr Ansprüche zu beachten. „Die Bäche müssen für aquatische Organismen immer ein Mindestwasser halten“, gibt Keller ein Beispiel. So gibt es auch heute noch klare Vorgaben, wann der Wassermeister die Wiesen wässern darf. Zudem müssen laut Wasserrahmenrichtlinie alle Gewässer längsdurchgängig sein, damit z.B. wandernde Fischen ihre Nahrungs- und Laichhabitate erreichen können. Das stellt so manche Wässerwiese vor eine Herausforderung.
Ein 50 km langes Grabensystem unterhalten die Mitarbeitenden der örtlichen Bauhöfe derzeit, weitere 50 km sind aufgelassen, könnten aber eines Tages reaktiviert werden. Die Pflege erfordert Fachkenntnis: In mehrjährigem Rhythmus müssen der in den Bewässerungsgräben abgelagerte Sand und eingewachsenes Schilf, Binsen und andere Pflanzen ausgebaggert werden. Die Gräben sind jedoch auch wichtiges Habitat für Rohrammer, Schwarzkehlchen und Co. Die Bauhofmitarbeitenden baggern deshalb nie den gesamten Graben auf einmal, sondern arbeiten abschnittsweise auf Basis eines detaillierten Pflegeplans. So bleiben immer genug Strukturen für Flora und Fauna.

Nicht nur die Gräben selbst haben naturschutzfachlichen Wert: Es sind auch und vor allem die Wässerwiesen, die sich durch eine besondere Artenvielfalt auszeichnen. Je nach Lage bilden sie Nasswiesengesellschaften oder Stromtalgesellschaften (wechselfeuchte Wiesen) aus. Die Wiesen sind nie komplett eben. Auf erhöhten Bereichen wachsen Pflanzen, die mehr Trockenheit ertragen. So entstehen heterogene Wiesenflächen, die für Insekten und Bodenbrüter verschiedenste Habitate vorhalten. In den Queichwiesen sind dank der Bewässerung bis heute beispielsweise die Sibirische Schwertlilie und der Kantenlauch, beides Stromtalpflanzen, zu finden und auch der Große Feuerfalter, der Dunkle Wiesenknopf-Ameisen-Bläuling und die Helm-Azurjungfer fühlen sich hier wohl. In den Gräben sind gelegentlich Schlammpeitzger zu entdecken.
Die Queichniederungen sind nicht die einzigen Wiesen, auf denen noch heute bewässert wird. In mindestens 19 Regionen deutschlandweit werden Wiesen über Grabensysteme bewässert. Die laufende Inventarisierung der europäischen Wässerwiesen durch das Internationale Zentrum der Traditionellen Bewässerung in Europa (IZTB) zeigt zudem, dass auch außerhalb der deutschen Grenzen noch viele Wässerwiesen aktiv bewirtschaftet werden. Thomas Köhler beschäftigtigt sich intensiv mit der Wiesenbewässerung. Er leitet das Projekt zum natürlichen Wasserrückhalt in der Landschaft beim Deutschen Verband für Landschaftspflege (DVL) und sammelt das Wissen über die traditionelle Bewirtschaftungsform. „Spannend ist, dass jede Wässerwiese einzigartig ist“, stellt er fest. „Das ist historisch gewachsen.“ Die Unterschiede liegen in der Bewässerungstechnik, den verwendeten Wiesenschließen, in den Zielen der Bewässerung oder schlichtweg in der Organisationsstruktur. Und doch haben die Wässerwiesen vieles gemeinsam, weshalb bestehende und potenzielle Wässerwiesenregionen voneinander lernen können. Die Besonderheit dieser Tradition wurde bereits von der UNESCO anerkannt, weshalb sie nicht nur in Deutschland, sondern weltweit als Immaterielles Kulturerbe gelistet ist.
- © Peter Keller
- © Peter Keller
- © Peter Keller
- © Peter Keller
- © Julia Schrade
- © Julia Schrade
- © Peter Keller
- © Julia Schrade
Doch war es weniger der Blick auf die Tradition, die dem DVL den Anlass gab, sich in der Projektarbeit den Wässerwiesen zu widmen. Vielmehr kommt der Bewässerung mit dem Klimawandel eine neue Bedeutung zu. Durch die alte Technik kann das Wasser länger in der Landschaft gehalten werden. Es geht um Wasserretention: Die Grabensysteme mit ihrer immensen Länge sind in der Lage, große Mengen Wasser zu fassen und an die umliegenden Flächen abzugeben, wo das Wasser nach einer gewissen Zeit versickert. Der Wasserrückhalt bringt dabei viele positive Aspekte mit sich, etwa in Sachen Grundwasserneubildung und Hochwasserschutz. Peter Keller durfte das im regenreichen Frühjahr 2024 selbst miterleben. Bei den starken Regenfällen, die andernorts zu Überschwemmungen führten, staute sich das Wasser der Queich ohne Zutun im Grabensystem ein, die Wiesen wurden fast einen halben Meter geflutet – deutlich mehr als bei einer regulären Bewässerung, bei der das Wasser maximal knöchelhoch steht. Die Folge: Die Hochwässer an der Queich waren deutlich milder – eben, weil das Wasser ausweichen konnte. Andernorts wird die Wiesenwässerung gezielt genutzt, um geeignete Brut- und Rastplätze für feuchteliebende Vogelarten zu schaffen oder Landwirtschaftsbetrieben eine höhere Heuernte zu ermöglichen. Mit einem gut durchdachten Konzept können diese unterschiedlichen Aspekte sogar miteinander kombiniert werden.
Thomas Köhler nimmt deshalb als Projektleiter beim DVL die Wässerwiesen aus neuer Perspektive unter die Lupe: Wie können sie zur Wasserhaltung in der Landschaft beitragen? Im Projekt will er Wissen sammeln und aufarbeiten, sodass alle davon profitieren. So sollen Regionen, in denen aus der Historie alte Strukturen vorhanden sind, die Möglichkeit bekommen, diese zu reaktivieren oder erfolgreiche Teilaspekte der Wiesenbewässerung in neue Bewässerungskonzepte zu integrieren. „Es geht darum, das Wissen zu verbreiten, die Menschen zu vernetzen und gute Beispiele aufzuzeigen.“ Zudem sind die Herausforderungen der Wiesenbewässerung in den unterschiedlichen Regionen oft ähnlich. Peter Keller ergänzt daher: „Nicht jeder muss die gleichen Fehler machen. Manchmal geht man den langen Weg und weiß hinterher, wie es eleganter funktioniert hätte.“

Köhler beschränkt sich bei der Wissenssammlung aber nicht nur auf traditionelle Bewirtschaftungsweisen. „Es gibt Regionen, in denen die alten Strukturen nicht mehr vorhanden sind oder nie existierten“, erklärt er. „Deshalb sind wir auch an anderen Techniken interessiert.“ Der Fokus liegt dabei auf niederschwelligen und dezentralen Lösungen. Interessant sind beispielsweise Entrohrungen, Keyline Designs und der Einstau oder die Umleitung von land- und forstwirtschaftlichen Drainagegräben. So können auch recht einfache und kostengünstige Lösungen dazu beitragen, Wasser in der Landschaft zu halten.
Der DVL will mit dem Projekt andere Regionen ermutigen, selbst Projekte ins Leben zu rufen. Handlungsleitfäden, Steckbriefe, eine Homepage für Interessierte, Seminare und Exkursionen sollen alle notwendigen Informationen zur Verfügung stellen, um eigene Projekte zu starten – Tipps zur Finanzierung inklusive. Denn derzeit werden Wässerwiesen-Reaktivierungen fast immer über Projektfördergelder möglich gemacht. Eine falsche Entwicklung, finden Köhler und Keller. Schließlich tragen funktionierende Wässerwiesensysteme bereits heute zur Abmilderung der Klimawandelfolgen bei. Eine Einbindung in die reguläre Förderkulisse der Bundesländer wäre daher wünschenswert.
Die beiden sehen großes Potenzial in der Bewässerung – das beschränkt sich nicht einmal nur auf Wiesen. Peter Keller ist gerade dabei, gemeinsam mit Förstern seiner Region, ein Pilotprojekt zur Waldbewässerung mithilfe von Bewässerungsgräben zu planen, um so die trockenheitsgeschädigten Bäume besser zu versorgen und den Grundwasserpegel zu steigern. Ziel sind hier die feuchten Eichen-Hainbuchenwälder. Derzeit ist eine Machbarkeitsstudie in Arbeit. Vielleicht gibt es in einigen Jahren an der Queich nicht nur Wässerwiesen, sondern auch Wässerwälder …